Eigentlich steht ein Schützenfest für ausgelassene Stimmung, Geselligkeit mit Freunden und Familie und das gemeinsame Feiern. Doch das Schützenfest in Hannover wurde in diesem Jahr von einem Vorfall überschattet, der derzeit hohe Wellen schlägt: Eine Polizistin, die zur Sicherheit der Besucher vor Ort war, wurde am Sonntag (6. Juli) offenbar gegen ihren Willen von zwei Männern auf die Wange geküsst.
Die Polizei in Niedersachsen ermittelt nun wegen sexueller Belästigung. Laut einem Polizei-Sprecher geschah der Vorfall „ohne Einverständnis und gegen den Willen der Beamtin“ (wir berichteten). Besonders unter unseren Lesern erlangt der Fall viel Aufmerksamkeit. Eine breite Masse der Menschen – vor allem Männer – meinen, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht wurde. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Der Vorfall wird von vielen verharmlost.
Niedersachsen: Der Fall wird kleingeredet
„Man kann sich aber auch anstellen“, schreibt ein Nutzer. „Solange man Vergewaltiger und Mörder wegen günstiger Sozialprognose laufen lässt, muss dieser Überschwang wohl nicht verfolgt werden“. Solche Kommentare sind nicht nur verletzend, sondern auch gefährlich – nicht nur für Frauen, sondern für alle Betroffenen sexueller Belästigung. Die ernsthafte Aufarbeitung solcher Vorfälle trägt dazu bei, dass sich mehr Menschen trauen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und Hilfe zu suchen. Dazu muss man aber auch ermutigt werden, über seine Erfahrungen zu sprechen.
Das betont auch die unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch (UBSKM): „Die größere öffentliche Wahrnehmung des Themas trägt dazu bei, dass immer mehr betroffene Menschen den Mut fassen, über das Erlebte zu sprechen und dieses offen zu thematisieren.“ Die UBSKM nennt die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
+++ Kuss-Skandal erschüttert Schützenfest Hannover! Polizistin klagt an +++
„Wahrscheinlich aus Übermut“
Ein anderer Kommentator ist der Meinung, dass aus einer Mücke ein Elefant gemacht wurde. Er ist sich sicher: „Auf einem Volksfest, das ansonsten scheinbar friedlich verläuft, küssen zwei Männer, wahrscheinlich aus Übermut, eine Polizistin auf die Wangen! Wäre es eine sexuelle Belästigung gewesen, hätten sie wohl eher auf den Mund geküsst!“ Auch solch ein Kommentar verharmlost den Übergriff und stellt zudem eine problematische Interpretation dar – sie versucht, die Intention der mutmaßlichen Täter zu bewerten, ohne deren Motive zu kennen. Es spielt keine Rolle, ob es sich um „Übermut“ handelte – der Kuss geschah ohne Zustimmung der Beamtin und damit gegen ihren Willen. Das allein ist entscheidend.
Der Kommentator stellt außerdem infrage, ob es sich bei dem Vorfall wirklich um sexuelle Belästigung handelt. Dazu muss ganz klar gesagt werden: Sexuelle Belästigung wird als solches unabhängig von der Intention einer Person definiert. „Das Gesetz definiert sexuelle Belästigung über die objektive Wahrnehmung des Geschehens und nicht über die Absicht der belästigenden Person“, schreibt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. „Entscheidend ist also nur, ob ein bestimmtes Verhalten objektiv einen sexuellen Charakter hat und sich die betroffene Person dadurch belästigt gefühlt hat.“
Mehr News:
Ob Außenstehende den Vorfall als „nicht so schlimm“ empfinden, ist irrelevant. Was zählt, ist, dass sich die Polizistin belästigt fühlte und dass der Kuss gegen ihren Willen stattfand. Wer solche Vorfälle kleinredet, relativiert auch andere Übergriffe – mit der Folge, dass sich Betroffene in Zukunft womöglich nicht mehr trauen, sich zu äußern. Genau das darf nicht passieren. Jeder Mensch hat das Recht sich zu wehren, wenn etwas geschieht, das nicht vorher ausdrücklich gewollt war – und das ohne Spott oder Abwertung.