Offenbar steht Schwarz-Rot kurz vor einer Einigung bei der Reform des Bürgergeldes. Kanzler Friedrich Merz und Sozialministerin Bärbel Bas wollen strengere Regeln und schärfere Sanktionen durch den Bundestag bringen. Über die Eckpunkte berichtete am Freitag die „Bild“-Zeitung. Armutsforscher Christoph Butterwegge zeigt sich höchst kritisch über das Vorhaben der Regierung.
Aus seiner Sicht geht das alles in eine verkehrte Richtung. Gegenüber unserer Redaktion prognostiziert der Experte, dass der bisherige Gesetzentwurf aus dem SPD-geführten Ministerium von Bas nur der Anfang sein könnte.
„Scharfmacher schießen Sozialstaat sturmreif“
„Die kampagnenartige Stimmungsmache“ gegen das Bürgergeld werde anhalten, so der Professor im Ruhestand. Das Ziel der „Scharfmacher der Union“ um Carsten Linnemann, Thorsten Frei oder Jens Spahn sei es, „den Sozialstaat sturmreif zu schießen“.
Die Eckpunkte des Gesetzentwurfs (Quelle: „Bild“):
- 30 Prozent weniger Stütze für drei Monate, wenn man Termine im Jobcenter schwänzt oder Pflichten vernachlässigt, wie beispielsweise Bewerbungen zu schreiben.
- 100 Prozent Streichung, wenn ein Bürgergeld-Bezieher mehrfach zumutbare Jobangebote ablehnt.
- Maximal 15.000 Schonvermögen: Fast alle Ersparnisse müssen aufgebraucht werden, bevor man Hilfe des Staates bekommt.
- Sofortiger Auszug aus zu großen Wohnungen, statt bisher ein Jahr als Schonfrist in der alten Wohnung.
Mehr dazu: Rabiates Bürgergeld-Gesetz in den Startlöchern – Bas: „Die müssen das merken!“
Der frühere Bundespräsidenten-Kandidat für die Linkspartei glaubt nicht, dass die härteren Sanktionen bis zu einem völligen Leistungsentzug tatsächlich gezielt Totalverweigerer treffen werden. „Treffen wird eine Totalsanktion nicht clevere Trittbrettfahrer, die Mittel und Wege finden, ihr zu entgehen, sondern Menschen, die gesundheitliche und psychische Probleme haben oder Schreiben des Jobcenters aus Angst vor den Behörden gar nicht mehr öffnen“, so Butterwegge.
Dass Schwarz-Rot auch beim Schonvermögen der Bezieher sowie bei der Karenzzeit für größere Wohnung etwas ändern will, hält Butterwegge ebenfalls für einen Fehler. Beides würde „eher die Klientel der Unionsparteien“ treffen, also Facharbeiter oder Soloselbstständige, die sich ein kleineres Vermögen aufgebaut haben und bislang in komfortableren Wohnungen lebten.
Es sei sinnvoll gewesen, dass man mit der Einführung des Bürgergeldes den Druck rausgenommen habe bei der Wohnungsfrage, damit sich die Menschen ganz auf die Arbeitssuche konzentrieren können. Die im Gesetzentwurf vorgesehene „sozialpolitische Rolle rückwärts“ dagegen entspreche „der neuen Härte, die mit der Regierung Merz in die Gesetzgebung einzieht“.
Butterwegge: Eigentlich müsste es doppelt so viele Bürgergeld-Empfänger geben
„Ehrliche und bedürftige Transferleistungsempfänger“ wie beispielsweise die rund 500.000 alleinerziehenden Mütter im Bürgergeld seien sowieso schon kollektiv gestraft, „mit weder 2025 noch 2026 steigenden Regelleistungen“, so der Politikwissenschaftler. Nun kommen die neuen Sanktion noch obendrauf.
Vor allem von der SPD erwartet Butterwegge etwas anderes. Die Partei müsste „über die sehr viel zahlreicheren Menschen sprechen, denen Bürgergeld zusteht, ohne dass sie es beantragen – sei es aus Unwissenheit, Stolz, falscher Scham oder Angst vor dem Jobcenter. Bekannt sollte Bas sein, dass nur etwa die Hälfte der eigentlich Anspruchsberechtigten dort vorstellig wird“.
Weitere Nachrichten für dich:
Derzeit erhalten rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld in Deutschland. Somit spricht Butterwegge von um die 5 Millionen Menschen, die zusätzlich einen Anspruch haben könnten. Die sich in den Startlöchern befindliche Reform gehe daher „in eine völlig falsche Richtung“. Der renommierte Experte befürchtet eine fortschreitende Entsolidarisierung in der Gesellschaft und rechnet mit einer weiteren Stärkung der AfD.




