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Silvester-Schüsse: Krankheit wirkt strafmildernd

Silvester-Schüsse: Krankheit wirkt strafmildernd

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Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

Salzgitter/Braunschweig. 

Dass der Schuss, der an Silvester ein zwölfjähriges Mädchen in Thiede getroffen hat, nicht tödlich war, sei nichts als ein glücklicher Zufall. „Zwei Jahre und neun Monate Haft“ – das ist das Urteil wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung, das Richterin Daniela Kirchhof am heutigen Dienstagmittag im Landgericht Braunschweig gegen den 69-jährigen Angeklagten gefällt hat.

Auf Totschlag steht eine Freiheitsstrafe von nicht weniger als fünf Jahren – bis zu 15 Jahre sind möglich. Auch wenn einiges dafür gesprochen hatte, ihn länger einzusperren, muss der Angeklagte nicht die volle Zeit ins Gefängnis. Das hat das Gericht heute begründet.

So lief die Silvesternacht ab

In der Silvesternacht war der Mann an eines der Fenster seines Cafés/Wettbüros getreten, hatte es geöffnet und mit einer scharfen neun Millimeter Waffe zwölf Schüsse in die Luft abgegeben. Hierbei war sein Arm immer weiter in die Waagerechte gerutscht. „Am Rückstoß der Waffe kann das allerdings nicht gelegen haben, da sie kaum einen hat“, erklärt die Richterin das Gutachten eines Sachverständigen.

Nach den ersten zwölf Schüssen schloss er das Fenster, ging vor die Tür seines Ladens, lud die Waffe nach und schoss weitere acht Mal. Hierbei hielt er die Waffe in Richtung des Hauses, vor dem die Zwölfjährige stand. „Mama, warum guckt der Mann uns an und schießt in eine ganz andere Richtung?“, soll der Sohn einer Zeugin sie noch verwundert gefragt haben.

„Tod billigend in Kauf genommen“

Einer der Schüsse – welcher ist unklar – traf das Mädchen in den Rücken, 2,5 Zentimeter von ihrer Wirbelsäule entfernt durchschlug die Kugel ihre Lunge und eine Rippe und trat im Brustbereich wieder aus. Das Mädchen rettete sich zu ihrer Mutter, der Krankenwagen wurde gerufen, sie kam ins Klinikum Wolfsbüttel, wo sie notoperiert wurde – und überlebte.

„Der Angeklagte hat den Tod des Mädchens billigend in Kauf genommen“, so Kirchhof. Er habe aus einer unkontrollierten Haltung – Zeugen beschreiben sie als „cool“, „lässig“ und „cowboyhaft“ – in schneller Abfolge, in einem reinen Wohngebiet geschossen. Die Waffe sei illegal gewesen, die Sicht schlecht, außerdem sei er ein schlechter Schütze.

Durch Stimmen und Silvesterknaller muss ihm außerdem klar gewesen sein, dass er in eine belebte Szenerie schoss – und nicht ausschließen konnte jemanden zu treffen.

Bilder nach der Tat

Strafmildernde Umstände der Tat

Das Mädchen hat seit der Nacht eine Posttraumatische-Belastungsstörung, traut sich nicht zum Spielen raus, hat Panikattacken. Ihr Bruder hat die Schule gewechselt, damit er bei ihr sein kann, sie und ihre ganze Familie sind in therapeutischer Behandlung.

Doch was steht dann noch auf der strafmildernden Seite? Zum einen, dass er Verantwortung für seine Taten übernehme und Reue zeige. Er habe die Tat gestanden, sich glaubwürdig bei den Eltern des Mädchens entschuldigt und zahle freiwillig Schmerzensgeld, erklärte Richterin Kirchhof. 3.000 Euro hat er schon gezahlt, 4.000 Euro sollen noch folgen – für seine Einkommensverhältnisse viel Geld.

Die Eltern wollen das Geld bisher nicht annehmen. „Er selbst kann in dieser Situation aber nichts anderes tun“, gibt Kirchhof zu bedenken.

So sah der Prozessauftakt aus

Konnte den Alkohol nicht einschätzen

Auch die Tatsache, dass er Alkohol getrunken hatte, sei ein Grund die Strafe zu mildern. Durch seinen Krankheitsverlauf mit Diabetes, einer Durchblutungsstörung, einer Refluxerkrankung und einem Bypass trinke er seit Jahren kaum Alkohol und habe dadurch auch die Wirkung nicht genau einschätzen können. Die gemessenen 1,67 Promille haben bei ihm eher wie 2,5 Promille gewirkt.

„Außerdem ist der Angeklagte niemand, der betrunken loszieht und Leute verprügelt“, so Kirchhof. Darauf lasse auch dadurch schließen, dass er keine Vorstrafen habe.

Angeklagter kann Revision einlegen

Vor allem aber die Tatsache, dass es beim Versuch des Totschlags geblieben ist, wirkt sich mildernd auf das Strafmaß aus. Sieben Monate saß der Täter in Untersuchungshaft, für zwei Jahre und neun Monate muss er nun hinter Gitter. Außerdem muss er die Kosten des Verfahrens und die Kosten der Nebenklage übernehmen. „Es gibt keinen Grund die Kosten der Nebenklage bei den Eltern des Mädchens zu belassen“, erklärt Kirchhof.

Der Mann kann Revision gegen das Urteil einlegen.