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VW-Dieselskandal: Knall mit Ansage? Diess wird deutlich: „Ich war erstmal überrascht“

Die Causa „Dieselaffäre“ – sie liegt auch heute noch nicht bei den Akten. Noch immer geht es um die Frage: Wer bei VW wusste wann was?

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VW und seine Töchter - das sind die Marken

Zum Volkswagen Konzern gehören viele weitere bekannte Automarken. Wir stellen die bekanntesten VW-Töchter vor.

Als Herbert Diess den Congress Saal der Stadthalle Braunschweig betritt, wirkt er gelassen. Freundlich begrüßt er die Anwesenden, richtet sich am Vernehmungstisch ein und schaut sich dann in aller Ruhe um. Die Hände hat er dabei meist in den Hosentaschen seiner Anzughose vergraben. Sein Blick wirkt entspannt.

Es sind die letzten Minuten am Dienstag (16. Januar), bevor der Ex-VW-Boss als Zeuge im Kapitalanleger-Musterverfahren aussagen soll. Noch immer geht es um die Causa Dieselskandal. Und die alles entscheidende Frage: Wer wusste wann was?

VW: Dieselskandal – ein Knall mit Ansage?

Als die Dieselaffäre aufflog, war Herbert Diess noch neu bei VW. Er kam gerade von BMW rüber zu den Wolfsburgern, in dem Wissen, zukünftig in die Fußstapfen von Martin Winterkorn zu treten. „Ich hatte Respekt vor der Aufgabe“, sagt der heute 65-Jährige. Schließlich sei Volkswagen ein komplexes Unternehmen. Seine Bedingung, als er damals die Stelle antrat: Er wolle noch zwei Jahre mit Winterkorn zusammenarbeiten und von ihm lernen, bis er dann die Nachfolge antritt.

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Doch es sollte anders kommen. Denn schon kurz nach seinem Start in Wolfsburg kam ein Thema auf den Tisch, das perspektivisch alles ändern sollte. Heute allgemein bekannt als Dieselskandal. Dass die „technischen Probleme“, von denen zu Beginn die Rede war, einmal solche Kreise ziehen würden, sei nicht absehbar gewesen. Zumindest nicht in Gänze.

VW-Skandal: Was wusste Herbert Diess?

Doch, wer wusste wann was? Und, wurde etwas absichtlich verschwiegen? Fragen, die auch Jahre nach dem Bekanntwerden noch viele umtreiben. Allen voran auch zahlreiche Anleger, die noch immer um Schadenersatz im Kapitalanleger-Musterverfahren ringen. Denn ihnen brachte das Auffliegen der Dieselaffäre seinerzeit Kursverluste in Milliardenhöhe ein. Der Vorwurf: Man habe schlichtweg zu spät von den Problemen erfahren.

Um in dem Prozess zu einer Einigung zu kommen, hat das Gericht mehr als 80 Zeugen geladen. Darunter auch Martin Winterkorn, der am 14. und 15. Februar aussagen soll, Ex-Chef Matthias Müller, der am 7. Februar vorgeladen ist – und Herbert Diess. Sie alle sollen dazu beitragen, die offenen Fragen ein für alle Mal zu klären.


Fakten zum Kapitalanleger-Musterverfahren:

  • Musterklägerin in dem Verfahren ist die Deka Investment
  • die Beklagten sind die Volkswagen AG und die Porsche SE
  • Tausende Anleger klagen vor dem OLG Braunschweig, dass die zu spät über den Abgasbetrug bei Dieselfahrzeugen informiert worden, dadurch hätten sie massive Verluste an der Börse erlitten
  • das Verfahren hat bereits im September 2018 begonnen

Doch am Dienstag (16. Januar) wird deutlich, dass das gar nicht so einfach ist. Denn Ex-Chef Herbert Diess kann sich nach eigenen Angaben an vieles nicht mehr erinnern. Das wird klar, als der Richter an diesem Vernehmungstag diverse Konzernsitzungen im Detail durchgeht. Im Kern will das Gericht herausfinden, wann Herbert Diess zum ersten Mal von den Problemen mit den Motoren gehört hat – und wann ihm klargeworden ist, dass man es hier nicht mit einer Kleinigkeit zutun hat.

Ex-VW-Boss Herbert Diess hat im Kapitalanleger-Musterverfahren in Braunschweig ausgesagt. Foto: pictpicture alliance/dpa | Christian Brahmannure alliance/dpa

Der „Schadenstisch“ – der Tag, an dem sich alles änderte

Ein entscheidender Termin, der in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist der „Schadenstisch“. Als dieser am 27. Juli 2015 stattfand, war Herbert Diess gerade einmal knapp 20 Tage im Unternehmen. Und fand sich plötzlich inmitten einer der größten Skandale der Firmengeschichte wieder. Was er zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben jedoch noch nicht ahnte.

Das Thema sei damals auf den Tisch gekommen. Martin Winterkorn habe „überrascht“ gewirkt, wie Diess im Zeugenstand sagt. „Ich weiß nicht, ob er vorher Bescheid wusste“, betont der 65-Jährige. Was er aber wisse ist, dass Winterkorn schnell „eindeutige“ Anweisungen geben habe. Der Auftrag sei klar gewesen: VW wolle die Behörden kontaktieren, die Karten offenlegen und Lösungen finden. „Eigentlich war ich beruhigt nach dem Meeting“, erinnert sich Diess. Man sei zuversichtlich gewesen, dass eine schnelle Lösung in Sicht sei. Als der Richter von dem Ex-VW-Boss wissen will, ob es damals bereits Anhaltspunkte gegeben habe, dass etwas Unrechtmäßiges geschieht, antwortet Diess: „Ich glaube, dass es offensichtlich war, dass die Motoren nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprachen.“


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Herbert Diess offen: „Ich war erstmal überrascht“

Er selbst habe immer wieder betont, wie wichtig es sei, in so einem Fall offen mit den US-amerikanischen Behörden zu kommunizieren. Das sei seiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, um eine gute Lösung zu erzielen. Und er sei davon ausgegangen, dass genau das auch geschieht. Auch deshalb habe er vermutlich mit gutem Gewissen seinen Urlaub genießen können. Doch am 24. August 2015 holte ihn die Realität wieder ein – und zwar in einer Markenvorstandssitzung. „Ich war erstmal überrascht, dass das Thema noch in der Schwebe war.“

Er sei davon ausgegangen, dass es rechtlich geklärt sei. Und vor allem davon, dass Volkswagen die Thematik den Behörden gegenüber offengelegt habe. Schließlich habe Diess auch großes Vertrauen in Winterkorn gehegt. „Der hatte das in der Hand, das Thema – auch sicher“, betont der 65-Jährige vor Gericht. Außerdem hatte der Konzern bereits Kontakt zu den Behörden gesucht. Diess selbst hat nach eigenen Angaben mehrfach angeboten, die Gespräche mit den amerikanischen Behörden zu führen. Letztlich sei die Wahl aber immer auf jemand anderen gefallen.

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Wichtig zu wissen: Herbert Diess, Martin Winterkorn und Hans Dieter Pötsch waren 2019 bereits wegen Marktmanipulation angeklagt worden. Der damalige Vorwurf: Sie sollen die Anleger „vorsätzlich zu spät“ informiert haben. Das Verfahren wurde allerdings 2020 beendet – die Beteiligten mussten jeweils 4,5 Millionen Euro durch VW an das Land Niedersachsen zahlen.


Dass sich hier ein Skandal anbahnte, das habe Diess nach eigenen Angaben nicht kommen sehen. Für ihn sei es bis zum Schluss ein technisches Thema gewesen, das man aufarbeiten müsse. Eben vollumfänglich und in den richtigen Schritten. Noch am 14. September 2015 zeigte sich der heute 65-Jährige gelassen nach einer Markenvorstandssitzung. „Ich war sehr ruhig, ich habe meine Pflicht getan“, war seinerzeit sein Tenor.

Nur vier Tage später flog die Dieselaffäre auf – und sorgte dafür, dass zahlreiche Investoren horrende Verluste erlitten. Eine Konsequenz, die noch heute das Oberlandesgericht Braunschweig beschäftigt – und das wohl auch noch für eine Weile tun wird. Besonders die Aussagen von Winterkorn am 14. und 15. Februar werden mit Spannung erwartet. (mit dpa)