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Hannover: Obdachloser bezieht nach Monaten auf der Straße eine Wohnung – „ein sehr schwieriger Weg“

Hannover: Obdachloser bezieht nach Monaten auf der Straße eine Wohnung – „ein sehr schwieriger Weg“

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Foto: IMAGO / Schöning

Hannover. 

Franz-Konrad Bauer hat eine eigene Wohnung in Hannover – und das ist für den 59-Jährigen etwas ganz Besonderes.

Ein Jahr war er obdachlos, schlief auf Parkbänken, in einer Jugendherberge, zuletzt in einem Hotel. Jetzt ist er endlich wieder angekommen, doch sein Weg dahin war nicht leicht.

Hannover: Mann zieht nach einem Jahr auf der Straße wieder in eine Wohnung

Bauer sagt: „Man hat wieder ein Zuhause, wo man Ruhe hat und zu sich selbst finden kann.“ Er kann die Tür abschließen, wenn er allein sein will – seit Mitte März ist er einer der ersten Bewohner eines rot geklinkerten Neubaus in Hannover, für den eine Stiftung solche Mieter wie ihn suchte.

Sein neues Reich ist 35 Quadratmeter groß, mit Küchenzeile und Bad. An der Wand steht ein bequemes Sofa – eine willkommene Spende. „Ich bin auf einem richtig guten Weg“, findet Bauer. „Besser kann’s nicht sein.“

Er kocht selber, jeden Tag, er hat einen Kühlschrank – alles nicht selbstverständlich, wenn man zuvor in wechselnden Unterkünften oder auf der Straße lebte. Für ihn geht es auch um die Menschenwürde – jeder habe das Recht, sich auch mal zurückzuziehen, ganz für sich zu sein, meint er. Aber nicht jeder hat die Möglichkeit.

Dieses Projekt sorgt für Dächer über den Köpfen

Sein Glück: Er hat sich beim „Housing-First“-Projekt in Hannover beworben – und wurde genommen. Das Modellprojekt sieht vor, kleine Wohnungen an bislang wohnungslose Menschen zu vermieten, ohne Bedingungen, aber mit festem Mietvertrag. Ziel ist, den Teufelskreis zu durchbrechen, wonach keine Arbeit bekommt, wer keine Wohnung hat, während gleichzeitig keine Wohnung bekommt, wer keine Arbeit hat.

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Was steckt hinter dem Modellprojekt? „Housing First“ stammt aus den 1990er Jahren zur Versorgung obdachloser Menschen in den USA. Eine eigene Wohnung gilt demnach als zentral für die Lebensbewältigung. Zunächst läuft das Projekt in Hannover mit Betreuung durch zwei Sozialpädagoginnen für drei Jahre, die 15 Wohnungen sind vermietet, wie der Vorsitzende der Stiftung „Ein Zuhause“, Eckart Güldenberg, sagt.

Er habe „begründete Hoffnung, mit dem überwiegenden Teil der Mieter das Ziel zu erreichen“. Ergebnisse aus anderen Ländern zeigten, dass 80 Prozent der Bewohner es schafften, Fuß zu fassen.

So werden die Kosten gezahlt

Die Nettokaltmiete für die 35 Quadratmeter großen Einzimmerwohnungen beträgt 200 Euro, eine 45 Quadratmeter große Wohnung kostet 250 Euro. Die Mieter bezahlen dies aus Transferleistungen des Jobcenters. Neben einem Landesdarlehen von 1,5 Millionen Euro bekam die Stiftung Zuschüsse von 460 000 Euro von der Stadt und 360 000 Euro von der Region Hannover.

Die Kosten für die Mieterbetreuung in den drei Jahren teilen sich Stadt und Region mit 78 000 Euro pro Jahr. Güldenberg betont, es sei das erste Projekt nach dem „Housing-First“-Prinzip in Norddeutschland.

Wer ausgewählt wurde, hat es noch nicht geschafft: „Das ist ein sehr schwieriger Weg, weil es auch Rückschläge gibt“, erklärt der Geschäftsführer der Landesarmutskonferenz Niedersachsen, Klaus-Dieter Gleitze. Manchem falle es schwer, sich in ein „normales Leben“ zu integrieren – „es wird Momente des Scheiterns geben“. Auch sieht er Konflikte voraus.

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59-jähriger Obdachloser: „Welcher Arbeitgeber stellt mich noch ein?“

Das sieht auch Güldenberg so. Einen „wirklichen Problemfall“ habe es in Hannover gegeben: Ein Bewohner habe seinen Schlüssel vergessen und versucht, die Tür aufzubrechen. Die Folge: Die Tür müsse ausgewechselt werden und bis dahin müsse der Betreffende auf den Wiedereinzug warten: „Das ist ein Extremfall.“

In anderen Fällen seien „Menschen hier aufgetaut“, meint Sozialpädagogin Jennifer Wielgosch, die das Projekt – und die Mieter – betreut. Und man sehe Erfolge: Die Bewohner kämen von der Straße, aber sie pflegten sich und ihre Kleidung und machten sauber. Eine Mieterin habe anfangs immer die Wohnungstür aufgelassen – so unvertraut sei es für sie, einen privaten Rückzugsraum zu haben. Gleitze sieht das Projekt in Niedersachsen „ziemlich weit“ vorn: „Das ist nicht alltäglich.“

Für Bauer ist das trotzdem nicht das Ende aller Probleme, wegen seines Alters und seiner Gesundheit erwartet er nicht, Arbeit zu finden. In Düsseldorf habe er einen Minijob im Handel gehabt – Kundenberatung, Kasse, Waren auszeichnen und einräumen. Aber: „Ich mache mir nichts vor. Welcher Arbeitgeber stellt mich noch ein?“